Heute vor 250 Jahren wurde Ludwig van Beethoven in Bonn getauft, vermutlich wurde er am Vortag geboren. Das „Beethoven-Jahr“ konnte nicht so glanz- und klangvoll gefeiert werden wie geplant. Mit unseren Abendliedgedanken würdigen wir wir den großen, emotionalen Komponisten, der übrigens kein einziges Weihnachtslied geschrieben hat, dafür wird man an Sylvester und Neujahr weltweit seine 9. Sinfonie mit dem Chor "Freude schöner Götterfunken" hören.
Dies möchte ich tun mit dem Lieblingslied meiner väterlichen Großmutter: Hymne an die Nacht „Heil´ge Nacht“.
1. Heil’ge Nacht, o gieße du
Himmelsfrieden in dies Herz!
Bring dem armen Pilger Ruh,
Holde Labung seinem Schmerz!
Hell schon erglüh’n die Sterne,
Grüßen aus blauer Ferne:
Möchte zu euch so gerne
Flieh’n himmelwärts!
2. Harfentöne, lind und süß,
Weh’n mir zarte Lüfte her,
Aus des Himmels Paradies,
Aus der Liebe Wonnemeer.
Glüht nur, ihr goldnen Sterne,
Winkend aus blauer Ferne:
Möchte zu euch so gerne
Flieh’n himmelwärts!
Das ist ein interessantes Lied, dessen Strophen zweigeteilt sind in einen ruhigen und einen sehr lebendigen Teil. Beethoven hat in seiner Klaviersonate „Appassionata“ das musikalische Thema 1807 entwickelt. Friedrich Silcher veröffentlichte etwa 30 Jahre später eine Bearbeitung des Themas mit Solostimme auf den Text von Friedrich von Matthisson und schließlich schrieb Ignaz Heim 1862 den vierstimmigen Satz für Männerchor.
Beim SDR-Kinderchor habe ich das Lied nie gesungen. Da das Lied zum typischen Männerchor-Repertoire gehört und Männerchöre eine aussterbende Tradition zu sein scheinen, leite ich Euch auf die Version des im SDR-Umfeld entstandenen Montanara-Chor Stuttgart, bei dem Chorfreunde von mir nach Stimmbruch und Studium mitsangen.
Der Text spiegelt den emotionalen und rastlosen Geist Beethoven gut wieder – eine romantische Sehnsucht nach Erlösung aus Ruhelosigkeit und Schmerz, der Blick, zu den Sternen und der Wunsch, das Gute mögen sich durchsetzen.
Das ist ein Gedanke, den ich nur zu gut verstehen kann und der zu dieser Zeit besonders gut passt.
Da fällt mir das Gedicht ein, das mir meine Mutter in das Poesiealbum schrieb, das ich von ihr zum 9. Geburtstag erhielt. Die Verse, die ich mir seither immer wieder ins Gedächtnis gerufen habe, passe gut zur "Hymne an die Nacht" - Guten ergeht es am Ende doch gut.
Ich habe nicht herausgefunden, woher genau die Verse sind, doch im „Trostbuch für Leidenden“ von Jakob Glatz von 1822 und in seinem Band „Aureliens Stunden des Andacht – ein Erbauungsbuch für die Töchter aus den gebildeten Ständen“ von 1830 findet sich das fast wortgleiche Gedicht – statt „Stürme des Lebens“ geht es da um die „Schatten des Trübsinns“. Wenn uns die Schatten des Trübsinns erfassen – oder besser noch davor – sollen wir den Blick zu den Sternen heben, Mut fassen und Vertrauen haben in eine bessere Zeit, in der sich das Gute durchsetzt.
Ein wunderbarer Gedanke – heute so passend wie vor zweihundert Jahren.
Geht es Euch auch so: Wenn es gelingt, sich selbst im großen Ganzen einzuordnen, den Blick immer weiter hinauszuzoomen aus sich selbst, dann ist da vieles mehr, das man sehen kann, vieles mehr, zu dem man selbst beitragen kann und vieles mehr, für das man dankbar sein möchte.
Der naturwissenschaftliche Kurzfilm „Zehn hoch“ war für mich ungeheuer beeindruckend - fast so wie der Blick in den Himmel auf einem einsamen Berg in einer sternklaren Nacht: Da bin ich ein kleines Teilchen des großen Ganzen, das eine kurze Zeit von der langen Zeit oder der Ewigkeit mit anderen da ist und seinen Teil dazu beiträgt, dass die Welt so ist wie sie ist.
"… und wenn ich mich im Zusammenhang des Universums betrachte, was bin ich und was ist der - den man den Größten nennt - und doch - ist wieder hierin das Göttliche des Menschen…" schreibt Beethoven in seinem berühmten "Brief an die Unsterbliche Geliebte" in Teplitz am 6./7. Juli 1812.
Wenn ich heute Abend die "Hymne der Nacht" am Klavier spiele und dazu singe, feiere ich Beethoven, der sich so viel Gutes von der Französischen Revolution erhoffte und uns solch wundervoll Musik schenkte, von der wir uns jeden Tag ein Stück anhören und uns anrühren lassen dürfen. In aller Welt setzen sich Menschen für Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit ein, die Ideale, die Beethoven so wichtig waren. Seine Musik überdauert die Zeiten, sein "Fidelo" steht für die Menschen in den Gefängnissen, seine Lieder für die Liebe zur Natur und zum Leben, seine Kanons für das Aufeinanderhören und friedlich Miteinanderagieren, seine - doch nicht Napoleon gewidmete - "Eroica" für die Gleichheit aller Menschen und bei seinem Prometheus wissen wir, dass noch viel zu tun ist, bis "alle Menschen Brüder werden. Das kann gelingen, wenn jeder von uns dazu beiträgt.
Natürlich singe ich singe das Lied auch für oben erwähnte Oma - meine Nainai wie in Singapur die Vater-Mutter im Gegensatz zur Wai-po, der Mutter-Mutter heißt. Leider konnte ich sie nicht kennenlernen. Ihr Gedichtbuch und ihre Schreiben sind mir wichtige Zeugnisse einer mutigen, tapferen, fleißigen und sensiblen Frau. Sie soll das Lied das ganze Jahr über und an Heilig´ Abend mit der Familie gesungen haben.
Ich wünsche Euch eine sternklare, friedvolle Nacht ....