Oh, es ist schon fast neun.
Jeden Augenblick müsste er kommen.
Ob er heute vielleicht... aber woher überhaupt...vielleicht doch, es könnte ja sein, dass...
Eilig trippelt sie zum Fenster. Nun ist die Straße fast leer. Nur ab und zu sieht sie eine Hausfrau mit der Einkaufstasche am Arm oder eine Mutter, die ihr Kind sogar beim Regen spazieren fährt.
Vor zwei Stunden noch war es hier in der Bubiagstraße laut; Autos fuhren die Straße hinunter zur Grube, Kinder sprangen zur Schule - lachend und schwatzend.
Oh, nun kommt er um die Ecke. Einen großen Packen Briefe hat er heute wieder dabei. Bestimmt ist heute etwas dabei. Irgendwie spürt sie es. Gerade heute würde es ihr gut tun. Beim Regen kann sie ja nicht auf die Straße gehen.
Sie trippelt zu der längst nicht mehr weißen Tür, schließt sie eilig hinter sich ab.
Sie hält das abgegriffene Geländer ganz fest während sie die ausgetretene Treppe hinunterhastet - stolpernd und unsicher. Wie gut, dass sie damals vom 6. Stock herunter in den zweiten gezogen sind. Ohne Aufzug würde sie es bestimmt nicht jeden Tag schaffen auf die Straße zu gehen, um mit dem Briefträger zu reden oder einzukaufen. Ach, Herr Koslowski hat Nachtschicht gehabt und streitet schon wieder mit seiner Frau. Sogar geschlagen soll er sie haben hat die aus dem ersten Stock gesagt und die wohnt ja drüber und muss alles mitanhören.
So, noch eine Stufe, noch eine und - die letzte.
Wieder einmal geschafft.
Sie zieht die schwere Haustüre auf. "Guten Morgen. Ist heute auch etwas für mich dabei?"
"Moment". Er blättert in dem Stoß von Briefen, Prospekten und Karten. Aha, ein Brief von der Schule an die im 4. Stock. Ob der Kleine schon wieder geraucht hat? Es gehören ihm aber auch ein paar hinter die Löffel.die Eltern rackern sich ab nur für die Bengels und die verrauchen das Geld.
"So, das wär´s für heute". Sie schreckt auf. "Nein, heute ist leider wieder nichts dabei. Vielleicht morgen. Aufwiedersehen." - "Aufwiederseh´n". -
Wieder nichts - vielleicht morgen.
Von wem sollte aber auch - ausgerechnet ihr -
Ja früher, als ihr Mann noch da war, da war manchmal ein Brief von seiner Schwester gekommen. Schön war das gewesen! Einmal hatte sie sogar eine Karte aus Jugoslawien aus dem Urlaub geschickt. Warum sie jetzt nicht mehr schreibt? Ach, wenn es doch nur einen Aufzug geben würde.
Sie schließt die Tür wieder auf, trippelt in die Küche und schaltet das Radio - ein altes, schwarzes Monstrum - ein. Sie hatten es zur Hochzeit bekommen - von Mutter. Das war ein Tag gewesen! Alle seine Kumpels waren dagewesen und getanzt hatten sie - wie die jungen Götter.
Sie lief zum Fenster und schaute hinunter auf die leere Bubiagstraße. Sie sah die Hausfrauen mit den Einkaufstaschen am Arm und Mütter, die ihren Kinderwagen durch die nasse Bubiagstraße schoben.
Donatus Angele, 1980
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