Die Goldene Hochzeit hat das Ehepaar schon vor zwei Jahren gefeiert. Damals mit einer Kreuzfahrt durchs Mittelmeer. Sie sind schon einmal in Tunesien gewesen – in dem Jahr, in dem er in Rente kam – im April war das damals. Da war dann die kalte Jahreszeit nicht so lange gewesen, hatte man dann schon einen Vorgeschmack auf den wärmenden Sommer.
Diesmal ein Zimmer mit Meerblick. Da hat man viel mehr vom Urlaub und kann auch mal vom Balkon auf den Strand sehen. Das bucht man am besten von zu Hause aus schon. Nun ja, das Zimmer neben der Klimaanlage hätte es nicht sein müssen – die ist schon recht laut. Aber dafür ist das Zimmer schön groß und die Aussicht aufs Meer über die Restaurantterrasse und den Pool mit den Palmen bei jedem Wetter beeindruckend.
Nach fast zwei Wochen kennt man im Hotel ja schon die Gäste, die Kellner und die Animateure - auch wenn weder Bogenschießen noch der Karaokeabend in Frage kommen. Das mit dem Stammplatz klappte von Anfang an. Man muss halt wissen, dass man gleich am ersten Abend dem Kellner ein ordentliches Trinkgeld gibt. Wenn er dann „Dankeschön, Chef“ sagt, ist alles klar. Ob es das fürstliche Trinkgeld nun jeden Tag oder einmal in der Woche geben wird, das zeigt sich noch.
Während er einen Korb mit Brötchen holt, holt sie zwei Gläser von dem Orangensaft, der - aus Pulver angemacht - den ganzen Tag in einem Kühlgerät langsam durchgequirlt wird. Bis beide zurück am Tisch sind, hat der Kellner schon die beiden offenen Metallkannen an ihren Platz gestellt: eine mit der verdünnten, gesüßten Milch und die andere mit dem schwarzen, nach Kakao schmeckendem arabischen Kaffee, der durch die Milch kaum heller, eher ein wenig grau wird.
Während er seine beiden Krücken hinter den Stuhl rechts von ihm verstaut, gießt sie ihm seinen Kaffee mit Milch in der gewünschten Stärke in die Tasse und fragt – wie jeden Morgen – „Zwei Eier?“ Er nickt und lässt sich unter einem leisem Ächzen auf den Stuhl sinken. Mit ordnender Geste stellt er Salz und Pfeffer an die Wandseite, um Platz zu machen für den Teller mit Wurst und Käse, den seine Frau holen wird, nachdem sie die frisch gebratenen Eier gebracht hat. Hier braten sie die Spiegeleier von beiden Seiten. Das Metallschälchen mit der sämige Marmelade aus Quitten und den weißen Butterstückchen daneben stellen sie immer in die Mitte, damit sie beide gut drankommen.
„Da ist wieder eine Neue“, sagt seine Frau, als sie sich mit den beiden Spiegelei-Tellern an dem stark tätowierten Engländer, der immer schon vor dem Mittagessen Wein trinkt, auf ihren Platz drängt. „Eng gestuhlt ist das hier“, denkt er. Deshalb holt ja seine Frau auch die meisten Sachen für das Frühstück vom Buffet für ihn mit. Damit er nicht mit den Krücken durch die engen Reihen muss. Gestern Abend, als er beim Grill für eine der kleinen Lammhaxenscheiben anstand, stolperte eine vorbeieilende junge Frau über seine angelehnten Krücken, dass eine umfiel. Aufgehoben hat sie eine andere Frau – die junge Frau hatte sich nur leicht umgedreht und „oh“ gesagt, bevor sie sich mit ihrem Teller auch bei den Lammhaxen anstellte.
„Hast´ gehört? Eine Neue ist draußen – eine braune“. Jetzt schaut er hoch und folgt ihrem Blick mit den Augen auf die Frühstücksterrasse. „Wir sollen doch nicht“, sagt er automatisch und zugleich wird ihm einmal mehr bewusst, was er alles nicht soll – mit seiner Diabetes und der Gicht. „Wir sollen ja eigentlich nicht“, sagt seiner Frau immer mit dem verschmitzten Lächeln, das sie viel jünger erscheinen lässt, wenn sie ihnen ein Kuchenstück hinstellt zum Nachmittagskaffee.
„Am Strandhäuschen darf man“, sagt seine Frau, „schau mal, sie hinkt, die neue Braune“. „Naja, wenn sie behindert ist“, antwortet er voll Verständnis und lässt blitzschnell seine zwei Scheiben Truthahnwurst – natürlich halal - in ihrem leeren Brillenmäppchen verschwinden, das die Braune und alle anderen Katzen schon kennen.
Donatus Angele, 22. April 2012
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