Warum habe ich immer von Schlangen geträumt als Kind?
Wie komme ich eigentlich jetzt drauf - gerade beim Putzen?
Jetzt wo ich diese Bücher von ihr lese - das erste an einem Tag mit angehaltenem Atem, mich nackt vor dem Buchhändler fühlend, der sie mir so treffsicher empfohlen hatte ohne mich genauer zu kennen - und nun das zweite, das ohne alter Ego. Esther, das noch viel deutlichere, das erste wiederholende, das mit dem Ich Lily - in dem sie noch viel weiter ist - mutmachend weiter als ich.
Komisch, sonst macht es mir doch eigentlich keinen Mut, wenn jemand weiter ist als ich - da hänge ich doch eigentlich ab, bleibe zurück, wenn ich das Gefühl habe, ich kann es ja doch nicht so weit, so gut schaffen, so schön sein, so organisiert sein, so mutig sein, so frei sein.
Da zieht schon wieder jemand runter, runter zu den Schlange, an die ich nicht denken will, die mir Angst machen, unglaublich lähmende Angst, dass man den Arm nicht mehr heben kann, den Atem selbst abschnürt - ringförmig, kontraktil - und gerade die sich nicht zeigen soll - jetzt auf gar keinen Fall, die Brust - heftig hebend und senkend - befiehlt sich ruhig zu verhalten durch Einstellen jeglicher Atmung, um dies nur noch viel heftiger wiederholen zu müssen bald darauf, weil man nicht stirbt, normalerweise stirbt niemand an Schlangen, die nicht da sind.
Außerdem sterbe ich nicht donnerstagmorgens während die Dreißiggradwäsche leise quietschend, weil ich die Trommel mal wieder zu voll gemacht haben, ihre Runden dreht.
Als Kind bin ich nicht einmal nachts gestorben, als ich von den Schlangen geträumt hab - heißglühend, schwitzig, zugleich zitternd vor Kälte an Mutters Bett stand und um Einlass bat - Stunden nachdem sie kamen, die Schlangen, nachdem ich stundenlang Angst gehabt hatte, diese schnürenden Angstpakete gepackt hatte, die ich ganz weit unten ablegte, am liebsten verschwinden lassen wollte und die vor drei Jahren begannen aufzuquellen - vielleicht waren die Schnüre durchweicht, der Raum vollständig ausgefüllt mit Paketen.
Ich weiß es nicht, denn ich wurde nicht gefragt. Ich, die doch wirklich immer darauf achte, alles im Griff zu haben, im Vorhinein schon zu bedenken, damit mich nichts mehr unangenehm überraschen kann - ausgerechnet ich.
Manchmal weiß ich, dass gerade ich, nicht ausgerechnet ich - rechnen konnte ich ohnehin nie besonders - gerade ich es war, die einen so gesunden, so starken Kern besaß, der nicht klein zu kriegen ist, auch nicht wenn er zugestopft wird mit Schnürpaketen, denn da ist ja noch diese Kraft, die sich wehrt gegen meine Mutwilligkeit.
Ich habe nicht mutwillig von den Schlangen geträumt und schon gar nicht mutwillig an sexuelle Dinge gedacht. Ich bin nicht mutwillig vor Deinem Bett gestanden und schon gar nicht um Deinen Sex mit ihm zu verhindern. Ich werde leider auch nie mutwillig von Schlangen träumen und leider schon gar nicht heute wo ich die sexuellen Dinge nicht Dinge nennen, sondern erfahren will.
Donatus Angele, 31. Mai 2001
- spontan vorgetragen am 31.5.2001 bei "Aus meiner Schublade - ein offener, experimenteller Literaturabend" - im Frauenkulturzentrum Sarah in Stuttgart
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